Verantwortung as a Service? – Appell an einen bewussteren Umgang mit Cloud und Daten
Dieser Text war ursprünglich mein Gastbeitrag mit dem Originaltitel „Datenklau bei HipChat - Cloud und Gesellschaft“ im Blog der Hochschulgruppe FSFW Dresden. Als Mitglied der Gruppe spreche ich deshalb teilweise von „wir“.
Am 24. April 2017 gab der SaaS-Anbieter Atlassian bekannt, dass Kundendaten des eigenen Chat-Tools HipChat entwendet worden seien. Dieser Vorfall ist ein gutes Beispiel für Risiken von Cloud-basierten Kommunikationstools und wir möchten die Gelegenheit nutzen, um auf andere vergleichbare Tools aufmerksam zu machen und den Zwischenfall in einen größeren Rahmen einzubinden.
HipChat ist eine sogenannte Software as a Service, kurz SaaS, betrieben von der Firma Atlassian. Atlassian ist unter anderem auch für das Ticketsystem Jira und die Wikisoftware Confluence bekannt.
Anmerkung: HipChat ist auch als Software für eigene Server verfügbar. Hierzu wird die Software bei Atlassian lizenziert, kann aber auf einem eigenen Server installiert werden. Dieser Artikel nutzt die Cloud-Variante als Beispiel – stellvertretend für andere Tools, welche nur als SaaS verfügbar sind (z.B. Slack).
Was ist SaaS?
SaaS bedeutet, dass die genutzte Software - hier eine Weboberfläche zum Chatten - auf den Servern eines Anbieters betrieben wird und man selbst keine Infrastruktur betreiben muss. In den meisten SaaS-Modellen bezahlt man beispielsweise pro Monat pro Nutzer oder kauft Pakete für eine gewisse Anzahl von Nutzern. Darüber hinaus gibt es bei vielen Produkten mehrere Editionen, die verschiedene Features beinhalten bzw. mehr Features hinzufügen.
Brauche ich für mein Team von fünf Entwicklern z.B. nur eine einfache Chatoberfläche, buche ich ein kleines Paket. Benötige ich aber nun für meine 100 Entwickler unterschiedliche Chaträume, dazu eine Anbindung an mein Ticketsystem und zum Schluss auch noch Support durch Atlassian, brauche ich ein wesentlich größeres (und teureres) Paket.
Atlassian ist hier ein sehr gutes Beispiel für eine umfangreiche SaaS-Plattform, da ein Atlassian-Account in allen Produkten der Firma wiederverwendet werden kann – sowohl für HipChat, als auch Jira und andere. Dies erleichtert die gegenseitige Integration der Tools. Die einheitliche Verwaltung der Nutzer und deren Gruppen erzeugt nebenbei einen Anreiz für Administratoren, innerhalb der Produktfamilie zu bleiben.
Und was hat das nun mit dem Datenklau zu tun?
Die Erläuterung zu SaaS ist deshalb hilfreich, weil hier nun klar werden sollte wo die Daten – Chats, Benachrichtigungen, Accounts – meiner Firma am Ende lagern: beim Anbieter. Der Nutzer der Software muss sich in diesem Falle darauf verlassen, dass der Anbieter
- die Daten gegen Verlust absichert,
- nicht unbefugt die Daten weiterverwertet,
- verhindert, dass Dritte die Daten missbrauchen,
- seine Systeme gegen fremden Zugriff schützt,
- ggf. eine Methode zum Export eigener Daten bereitstellt.
Diese Dinge sind rechtlich durch Verträge (Nutzungsbedingungen, AGB) mehr oder weniger geklärt.
Jedoch verhindert Text auf Papier nicht, dass destruktive Zwischenfälle nun doch passieren. Kommt es zum Ausfall einer Plattform hilft kein Service-Level Agreement (SLA), mit welchem der Anbieter seine Zuverlässigkeit gegenüber dem Kunden verspricht. Dann sind die Systeme halt aus, nicht erreichbar oder in sonstigen Zuständen – der Kunde hat hier keine Eingriffsmöglichkeiten. Es bleiben lediglich rechtliche Schritte, wie Rückzahlungen oder Entschädigungen. Steht das eigene Geschäft aber wegen Ausfall für mehrere Tage still, ist ein unverschuldeter finanzieller Verlust beim Kunden unumgänglich.
Noch schlimmer als ein Ausfall ist ein rufschädigender Verlust von Kundendaten des eigenen Betriebs. Nutzt eine Firma z.B. ein Cloud-basiertes CRM-System zur Verwaltung von Kunden und Aufträgen, und die Kundendaten dieser SaaS-Plattform werden entwendet und auf einem Schwarzmarkt verkauft, ist schnell der Kunde des SaaS-Produkts (die Firma) Ziel von Kritik. Ob diese Kritik gerechtfertigt ist oder nicht ist eine weiterhin offene, sehr polarisierende Diskussion in der IT-Welt.
Alternativen zur Cloud
Wie also könnte man die Probleme zentralisierter Systeme lösen? Welche Optionen bieten sich mir als Kunde, wenn ich nicht die Ressourcen habe, eine eigene Infrastruktur zu betreiben?
Beginnen wir mit dem offensichtlichsten Ansatz: wir holen die Software, welche wir in unserem Alltag brauchen, wieder ins Haus. D.h. praktisch umgesetzt: eine Firma betreibt im Keller oder bei einem vertrauten Serveranbieter eigene Server, auf welchen Softwarepakete laufen und die Daten der Dienste gespeichert werden. Im privaten Bereich bedeutet dies, dass ich dezentrale Software – z.B. Jabber, Diaspora, Mastodon, Rocket.chat, Mattermost, Kanboard oder WebRTC – verwende und zentrale Dienste ersetze.
Leider bringt dies Arbeit und unter Umständen zusätzliche Kosten für Dienstleistungen mit sich. Die Software muss installiert und gewartet, die Server-Software regelmäßig aktualisiert und der Betrieb abgesichert werden. Da gerade kleinere Firmen und Privatpersonen dies oft zeitlich nicht stemmen können, hilft es, sich in Gruppen zusammen zu schließen. Dies bedeutet z.B., dass ein paar Menschen zusammen einen Server mieten und darauf Chat-Software für diese Gruppe und weitere Freunde betreiben. Das Modell könnte man auch auf Firmen erweitern. Hierzu können sich Firmen zusammenschließen und jede reserviert einen Teil der eigenen IT-Kapazitäten für den gemeinsam betriebenen Dienst. Beispiele für kollektiv betriebene IT-Infrastruktur sind z.B. das Datenkollektiv und IN-Berlin.
Hier geht es um Punkte wie Vertrauen, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Dinge, die sowieso zu einer funktionierenden Gesellschaft gehören sollten, erweitert auf praktische Umsetzung von IT-Infrastruktur.
Zentrale Plattformen wie Facebook oder auch Atlassian sind so groß und beliebt, weil sie sehr einfach bedienbar und ohne eigenen Aufwand verwendbar sind. Aber dieser Komfort hat seinen Preis – besonders wenn für die Nutzung keine Kosten beim Kunden entstehen. Wenn der Dienst sich nicht durch Nutzungspreise finanziert, müssen die Daten zu Geld gemacht werden. Dies bedeutet z.B., dass Nutzungsdaten und Profile der Werbeindustrie zur Verfügung gestellt werden oder dass große Investmentfirmen mit riesigem Kapital Geld aufbringen, um Daten zu sammeln und sie für politische Zwecke zu nutzen. Es gibt natürlich auch hier Ausnahmen, wie Wikipedia, die sich auf Spendenbasis finanzieren.
Wenn man nun eigene Infrastruktur betreibt und die Daten der Nutzer die eigenen Server nicht verlassen, können diese auch nicht verkauft oder missbraucht werden. Und dafür lohnt sich der zusätzliche Aufwand allemal! Wer will schon eigene private Bilder frei im Netz kursieren sehen? Oder Passwort-Datenbanken? Oder gekaperte E-Mail-Konten?
Wer ist nun schuld? Die Nutzer oder die Anbieter?
Zu gerne würde man an dieser Stelle den schlechten Zustand unserer Technologie auf die Konsumenten schieben. Denn am Ende halten sich auf dem Markt nur Produkte, die von Kunden auch nachgefragt werden. Und diese sind zur Zeit nun mal überwiegend datenschutzfeindlich. Es geht sogar so weit, dass die großen Plattformen mehr und mehr an politischem Gewicht gewinnen. Und das alles, obwohl seit Jahren davor gewarnt wird, welche Macht die Anhäufung von Daten haben kann!
„Halt, stopp!“, rufen Menschen denen man solche Dinge an den Kopf wirft – zu Recht! Diese Vorwürfe sind natürlich haltlos. Die Abwelzung von Verantwortung ist nämlich das eigentliche Problem. Klar ist: jeder Mensch, der Dienste wie Facebook, Slack oder WhatsApp nutzt, muss lernen welche Folgen dies nach sich zieht. Es ist im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr akzeptabel, als Bürger einer Demokratie ein technisch ungebildeter Konsument zu sein. Und das Problem wächst, je technologisierter unser Alltag und unsere Arbeitswelt wird.
Aber wer steht nun in der Pflicht, Technologien gesellschaftlich akzeptabel und nachhaltig zu gestalten?
Erstens: der Konsument bzw. Kunde eines Softwareprodukts. Du machst durch deine Wahl einen Unterschied, welche Software auf den Markt kommt und welche bleibt. An Beispielen wie MySpace und StudiVZ sieht man, dass auch große soziale Netzwerke ihre Nutzer wieder verlieren können. Und sogar zu Facebook gibt es immer wieder Meldungen, in denen eine Verringerung der Nutzerzahlen prognostiziert wird.
Zweitens: der Anbieter und die Entwickler hinter einem Produkt! Alle Menschen der Softwareindustrie tragen eine Verantwortung. Jeder Schnippsel Code verändert die Softwarelandschaft zum positiven oder negativen. Es ist im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr akzeptabel, dass Programmierer irgendwelche Tools auf Github veröffentlichen, die dann in Monopol- oder Militärsoftware integriert werden! Auch hier ist noch ein riesen Paket Aufklärungsarbeit zu leisten, um Goldrauschprogrammierern ihre Mitverantwortung bewusst zu machen.
Die Informatik muss sich öffnen, aus der Blase hinaustreten und sich ihrer wachsenden gesellschaftlichen Verantwortung bewusster werden. Es ist schön, zu einem kleinen Kreis Eingeweihter zu gehören und mit dem eigenen Wissen viel Geld machen zu können – langfristig gesehen ist es aber fragwürdig, ob wir Algorithmen, die von einem homogenen Bruchteil der Bevölkerung entworfen wurden, gesellschaftliche Prozesse anvertrauen wollen!
Tja, und nu?
An dieser Stelle ist es schwierig einen Bogen auf das eigentliche Thema zurückzuschlagen. Ich hoffe es ist ersichtlich, dass diese Diskussion sehr schnell größere Dimensionen annimmt. Seit Urzeiten kann man bei jedem neuen Zwischenfall (Datenklau, weltweite Systemausfälle, Missbrauch…) ein weltweites Hand-gegen-Stirn-Klatschen hören – aber trotzdem bewegen sich die Dinge gefühlt schneller in Richtung unsicherer Systeme.
Menschen sind genervt von Datenschutz-Diskussionen. Die Politik hält Datenschutz (d.h. Verbraucherschutz!) und Software-Regularien für überholt, die deutsche Wirtschaft sieht sich im Vergleich zum Silicon Valley im Nachteil – und geht lieber Risiken ein, um schneller Produkte auf den deutschen Markt zu bringen.
Aber ist das Aufsetzen von Scheuklappen zukunftsfähig? Was passiert, wenn der Markt erstmal einen Punkt erreicht hat, an dem es keine Rückkehr mehr gibt? Wenn politische Systeme, die den Bürgern eigentlich ein faires Mitspracherecht garantieren sollen, anhand von Datenanalysen gelenkt werden können?
Fakt ist: jeder der heute Daten an Dienste sendet und somit dem Anbieter ermöglicht private Daten wirtschaftlich zu nutzen, zahlt nicht nur mit diesen, sondern legt Byte für Byte den Weg in die eine oder andere Richtung. Alle, die ein Softwareprodukt nutzen geben implizit ihre Zustimmung zur Art und Weise, wie dieser Dienst funktioniert und handelt. Und welche Folgen sich daraus für die Gesellschaft ergeben. Es ist keine gültige Ausrede, dass „es keine Alternative gäbe“ oder gar Kritik geäußert würde, indem man auf Facebook Bilder mit „ich widerspreche der Nutzung meiner Daten durch Facebook“ verbreitet. Im Gegenteil, die Plattform interessiert das Null, aber man selbst ist verlockt zu denken etwas getan zu haben.
Daher mein Appell: Menschen, die außerhalb der Softwareindustrie die Produkte nur nutzen wollen, sollten – nein, müssen – genauer hinschauen!
Informiert euch über freie Software, über die Cloud und SaaS, beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, beim „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ und bei der „Fachgruppe Informatik und Ethik“ der Gesellschaft für Informatik. Darüber hinaus gibt es diverse Blogs und andere Medien, die sich mit den Themen beschäftigen.
Ihr solltet eure Stimmen als Konsumenten nicht unterschätzen – so lange ihr als Mensch Kunde seid, bestimmt ihr, welche Produkte auf dem Markt sind und welche Firmen ihr mit eurem Geld unterstützt!
Open Graph preview image taken from https://techcrunch.com/2012/04/08/what-the-cloud-doesnt-do