Re: Das Informatik-Studium braucht weniger Nerds


Lieber Moritz,

mit deinem Artikel „Das Informatik-Studium braucht weniger Nerds“ hast du bei mir einen Nerv getroffen.

Es liegt auch an uns (den Informatikern), öfter zu zeigen, wie toll unsere Disziplin ist. Das passiert in meinen Augen leider viel zu selten.

Ich greife das mal direkt auf und stimme dir voll zu. Ursprünglich überlegte ich, dir eine Mail zu schicken, aber sehe bessere Chancen für einen breiteren Austausch durch diesen öffentlichen Beitrag. Das ist auch ein experimenteller Versuch, digitale Kommunikation wieder zurück in eine Form von ausformuliertem, durchdachtem Austausch mit längeren Texten zu bringen. Diese Tiefe der Argumentation ist über Twitter leider überhaupt nicht möglich..

Klischees

Wer heute ein Informatik-Studium beginnt, wird in der Einführungswoche mit ziemlich großer Sicherheit irgendwann in Gespräche über League of Legends, Linux-Distributionen oder Grabenkämpfe [...] verwickelt werden. Ich spreche aus Erfahrung, denn vor dreieinhalb Jahren ging es mir genau so. Während der ersten Woche zweifelte ich ernsthaft daran, ob ein Informatik-Studium tatsächlich das Richtige für mich ist.

Man sollte sich bei solchen Gedanken mehr Zeit nehmen. Was gut funktioniert, ist, sich hinzusetzen und durchzuhalten. Es braucht keine 15 Punkte im Mathe-Leistungskurs, um Informatik zu studieren - auch wenn die Grundlagen erstmal überwiegend Mathematik und Theorie sind. Übrigens warne ich immer wieder Menschen, die als Zocker „irgendwas mit Computern“ machen wollen, vor einem Uni-Studium. Man wird schnell enttäuscht, wenn die Vorstellung vom Studium nicht der Wirklichkeit entspricht.

Was ich beim Rückblick auf die vergangenen Semester aber leider resümieren muss: Der Informatik-Disziplin fehlt es an Vielfalt.

Das ist ein Vorwurf, den ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Gerade der Zwang, in der vollen Breite in den ersten Semestern Fachprüfungen ablegen zu müssen, ist für die meisten die größte Herausforderung. Warum soll ich für Technische Grundlagen lernen, wenn ich doch Neuronale Netze entwerfen will?

Ein Blick auf Dresden zeigt folgende sechs Institute mit ganzen 32 Professuren:

  • Institut für Angewandte Informatik: für die industrienahen Menschen
  • Institut für Künstliche Intelligenz: für die Logiker, Modellierer und Statistiker
  • Institut für Software und Multimediatechnik: für die Programmierer, Konzepter und visuellen Menschen
  • Institut für Systemarchitektur: für Betriebssystem-Hacker, Netzwerker, Datenschützer und Datenhorter
  • Institut für Technische Informatik: für Elektrotechniker und Hardware-Bastler
  • Institut für Theoretische Informatik: für die Mathematiker und Theoretiker

Es ist also alles abgedeckt: von der Theorie zur Praxis, vom Transistor über Assembler bis hin zum verteilten Rechencluster. Wer hier keine Vertiefung für sich findet, ist vielleicht doch im falschen Studium?

Die meisten Kommilitonen sind Informatiker aus voller Überzeugung – Nerds.

Definiert der Duden einen Nerd als „sehr intelligenter, aber sozial isolierter Computerfan“ muss ich hier widersprechen - soziale Isoliertheit ist auch in unserem Studiengang ein Indiz für einen frühen Abgang. Wer denkt, dass die Informatik-Fakultäten Deutschlands ein Sammelbecken von auf-den-Boden-schauenden Sozialphobikern ist, irrt gewaltig. Wo sonst ist verständliche Kommunikation und reger internationaler Austausch so wichtig und gefragt wie bei uns?

Spätestens seit der Oberstufe war den meisten klar, was sie werden wollen. Viele sind mit Informatik aufgewachsen und haben schon als Kinder und Teenager programmiert. Die größte verbliebene Unsicherheit im Lebenslauf war nur, welche Teildisziplin der Informatik sie verfolgen möchten (an meiner Hochschule sind das Angewandte Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Technische Informatik).

Bei der geringen Auswahl an deiner Hochschule wundert es mich nun nicht mehr, dass es dir an Vielfalt fehlt :)

Die Wirtschaftsinformatik ist bei uns sogar nochmal eine ganz eigene Abteilung, angesiedelt bei den Wirtschaftswissenschaften. Dazu haben wir noch Geo-, Mathe-, Physik- und Biomenschen, die Teile ihres Studienganges in der Informatik absolvieren.

Und mit dem Wissen um die Vielfalt unserer Disziplin muss ich auch hier widersprechen: es ist nicht möglich mit „der Informatik“ aufzuwachsen. Ja, man kann schon mit 12 Programmieren lernen, oder mit Papa an Hardware schrauben. Konsolen auseinander nehmen und die Firmware manipulieren. In der Schule HTML und Delphi lernen. Oder halt mit Videospielen aufwachsen - zu diesen Menschen gehöre ich auch.

Aber auch hier nochmal: Informatiker zu sein bedeutet nicht, Programmierer zu sein. Die Informatik ist ein Wissenschaftsgebiet, welches aus der Mathematik hervorgegangen ist. Dass der Teilbereich Software als Flaggschiff alle anderen Forschungsgebiete wegballert ist sehr schade um die Breite und Tiefe unseres Wissenschaftsgebiets.

Meine These dazu ist, dass die Software gerade deswegen so präsent ist, weil mit ihr in der Wirtschaft Geld gemacht wird. Die Forschung in allen anderen Bereichen verbleibt größtenteils im universitäten Kosmos und erreicht nur die, die sich in diesem Kosmos aufhalten. Wer aber glaubt, die Fakultät Informatik diene allein dazu Industrie-Programmierer auszubilden, ist hier falsch.

Und diese Annahme ist auch extrem schädigend, weil informationsverarbeitende Systeme mehr sind als Code. Verbesserungen an Datenbanken, Netzwerken und den zugrundeliegenden Konzepten und Algorithmen sind die entscheidenden Voraussetzungen für funktionierende Software.

Dass die Digitalpolitik hier nicht in die Gänge kommt und für Aufklärung sorgt ist einfach ein Unding, welches möglichst zeitnah und langfristig gefixt werden muss.

Große US-Firmen wie Google, Amazon und Microsoft unterhalten komplett private Forschungsabteilungen die am laufenden Band Algorithmen, Hardware und Software optimieren. Diese Aufgabe der Universitäten ist im Digitalen schon sehr weit privatisiert; mir tun die Menschen in unserer Fakultät manchmal Leid, wenn sie die Bezahlung ihrer Kollegen in der Wirtschaft mitbekommen und dann trotzdem bleiben. Großer Respekt!

Der Tellerrand

Aber was der akademischen Disziplin definitiv fehlt, sind zusätzliche Studenten links und rechts der Informatiker-Klischees. Menschen, die vielleicht erst später ihr Interesse für die Disziplin entdeckt haben. Menschen, die nicht direkt vom Gymnasium kommen, und deren Lieblingsfächer nicht unbedingt Mathe und Physik waren. Menschen, die Umwege genommen haben oder vorher einen anderen Beruf hatten.

Hier kommen wir auf eine Linie und ich freue mich sehr einen Artikel zu lesen, der diesen Missstand klar und deutlich kritisiert.

Der Informatik mangelt es nicht an Entwicklern, die einen Sortier-Algorithmus korrekt implementieren können. Es mangelt an Leuten, die mit diesem Algorithmus etwas Bedeutendes anstellen. Leute, die mit diesem Wissen Firmen und Initiativen gründen, Produkte bauen und damit andere Industrien und Bereiche verändern und die ihr Wissen auch wieder an andere weitergeben.

Diesen Mangel sehe ich so konkret nicht, ich denke auch die zweite Gruppe gibt es zuhauf. Was mir fehlt sind Menschen, die die Dimension ihrer Algorithmen erkennen. In einem anderen Text habe ich diese Menschen mal „Goldrauschprogrammierer“ getauft. Das sind die, die sich jetzt gerade mit schlechter Software und Apps eine goldene Nase verdienen, ohne die Konsequenzen von Qualität und Impact ihres Produkts ernst zu nehmen. Was fehlt sind Menschen, die die Softwareentwicklung im gesellschaftlichen Rahmen betrachten.

Und: was ist denn für dich „etwas Bedeutendes“? Nehmen wir mal wieder die Großen: Google, Facebook, Amazon, Uber, Airbnb. Alles Firmen mit verändernden, „disruptiven“, Produkten.

Und schaut man mal auf die kleinen Unternehmen und Startups wird das Spektrum noch größer. Viele von diesen Produkten sieht man als Endanwender nie, aber wenn man mal im B2B, d.h. Business-To-Business, unterwegs war, weiß man dass auch hier eine versteckte Vielfalt vorhanden ist.

Denn wenn Informatiker unter sich bleiben, kommt es zu einem im Internet bekannten Phänomen, dem sogenannten Circle Jerk (in den Medien gerne auch Echo Chamber genannt).

Hier nur ein kurzer Einwurf für Lesende: dies sind zwei verschiedene Dinge. Ein „Circle Jerk“ macht sich in kleiner Gruppe über externe lustig, indem in parodierender Weise über diese hergezogen wird. Im Vergleich zur Echo Chamber, in der vorrangig die eigene Weltanschauung durch ähnlich tickende Menschen ohne Hinterfragen bestätigt wird, wendet sich ein Circle Jerk aber meist nach außen. Das Problem an Echo Chambers ist, dass diese sich jedoch nach innen wenden und somit den Input von außerhalb abschirmen.

Wenn ich mal wieder über das aufgeblasene Klicki-Bunti-Windows herziehe, weil mein Arch Linux viel schlanker und effizienter ist, ist das Circlejerking. Aber das schadet niemandem, solange dadurch die Stimmung nicht in aggressive Lagerkämpfe ausartet. Das Phänomen der Echo Chambers halte ich hingegen für sehr gefährlich, da hier der kontroverse Austausch zum Erliegen kommt.

Allerdings ist der Rückzug in gleichgesinnte Gruppen auch nichts neues, weshalb man das Thema meiner Ansicht nach nicht zu sehr in den Fokus rücken sollte.

Gleichgesinnte unterhalten sich über die neuesten Frameworks und streiten über den besten Window Manager, machen sich aber wenig Gedanken über Themen außerhalb ihres Fachgebiets oder die Rolle der Informatik in unserer Gesellschaft – das sprichwörtliche „Herauszoomen“ aus der Thematik fehlt. Trotzdem sind Informatiker bei der Gestaltung unserer gesellschaftlichen und politischen Zukunft vollkommen unterrepräsentiert.

Es wird wenig über den gesellschaftlichen Einfluss der Informatik diskutiert, deshalb zieht es auch die wenigsten Fachmenschen in die Politik. Oder ist die Politik vielleicht generell einfach unattraktiv? Politik ist langsam. Wäre mein Gehirn darauf gepolt, den ganzen Tag an Algorithmen zu schrauben um jede Millisekunde auszureizen, würde mich das Konzept wohl auch nicht ansprechen.

Tatsächlich kann man sich jedoch an diesem Punkt auch streiten, ob diese These überhaupt zutrifft. Schaut man nämlich, wie oft Software-Konzerne mit Produkten und Marketing gesellschaftliche Maßstäbe setzen, sind diese sehr wohl im Gestaltungsprozess involviert.

Ein aktuelles Beispiel dazu ist Amazon. Amazon verändert durch seinen Webshop ganze Städte, weil der Einzelhandel bankrott geht. Und mit Alexa werden neue Maßstäbe in Sachen Privatsphäre und Datenschutz forciert, ein vor 10-20 Jahren völlig undenkbares Produkt. Weder für den einen Prozess, noch für den anderen Prozess sendet Amazon Mitarbeiter in Parlamente - abgesehen vom Lobbying natürlich.

Warum gibt es nun aber so wenig Austausch zwischen den Welten? Weil es weder in die Informatik hinein, noch in andere Disziplinen hinaus genug Brücken und Schnittstellen gibt.

Ich glaube dieses Problem ist derzeitig primär ein Kommunikationsproblem. Wenn ich Menschen Dinge erkläre und sie schalten schon beim Wort „Software“ ab.. tja, was kann ich da machen? Jemandem, der sich für das Thema interessiert etwas mit den gleichen Worten zu erklären ist meist jedoch kein Problem. Es scheitert also nicht an der Komplexität, wie so oft angebracht wird.

Diese Thematik verleitet mittlerweile fast schon zum Verzweifeln. Die Technik um uns herum und die Art und Weise, wie wir untereinander Informationen austauschen, hat sich verselbstständigt und wird von nur sehr wenigen Menschen - wenn überhaupt noch - gesteuert. Aus historischer Sicht denke ich, dass eines Tages die Aufklärung über das, was sich seit ein paar Jahren entwickelt, Menschen zu Unverständnis bewegen wird.

Im Deutschen Bundestag saßen in den letzten Wahlperioden zwischen zwei und vier Informatiker (im Gegensatz zu etwa 150 Juristen). Das ist beschämend für ein Land, das den Anspruch hat, bei der Digitalisierung global vorne mitspielen zu wollen.

Das unterschreibe ich zu 110%. Natürlich hab ich wenig Lust als Informatiker an Gesetzestexten zu feilen, dafür sind Juristen nunmal da. Es wäre aber schön, wenn nicht nur beim NSA-Untersuchungsausschuss Expertise aus unserer Szene gefragt wird, sondern ständig.

Dass Deutschland bei der Digitalisierung jemals „vorne mitspielen“ wird kann ich nur sehen, wenn wir das Spielfeld einmal komplett umdrehen. Und Deutschland allein wird das nicht schaffen. Was wir brauchen sind europäische Forschung, Entwicklung und Bewertung nach unseren Maßstäben.

Im Mai 2018 wird z.B. die neue DSGVO, die Datenschutzgrundverordnung, auf Basis einer EU-Verordnung in Kraft treten. Diese wird im Bereich Datenschutz europaweite strenge Vorgaben bewirken, die selbst US-Konzerne versuchten zu verhindern.

Ausblick

Das Problem ist natürlich größer, als dass es nur die Universitäten beträfe. Im Gegenteil: Die Universitäten können zur Lösung nur erschreckend wenig beitragen (hauptsächlich Lehrpläne aktuell halten, gutes Personal einstellen und gutes Marketing betreiben).

Wie hoffentlich oben erkennbar, bieten Universitäten wesentlich mehr als ursprünglich im Artikel angenommen. Es fehlt am Geld, die Forschung so attraktiv zu machen wie eine Arbeitsstelle in der Wirtschaft. Wenn der deutsche Staat sich damit zufrieden gibt die Forschung in privatisierten Konzernen stattfinden zu lassen - bitte schön, weitermachen. Kann ich allerdings nicht unterstützen, weil profitorientierte Forschung sehr selten verantwortungsbewusste, nachhaltige Ziele verfolgt.

Kinder müssen viel früher mit Informatik in Kontakt gebracht werden, und zwar nicht nur als passive Konsumenten, sondern als aktive Gestalter.

Schöner Appell, welchen ich ebenfalls nur unterschreiben kann. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass Kindern generell wieder mehr Neugier anerzogen werden muss, so dass sich in keinem Lebensbereich eine Horde Konsumvieh bilden kann. Es gibt schließlich noch mehr Themen als Computer auf unserer Welt.

Das Studiensystem suggeriert, Informatik ist ein Studiengang wie jeder andere. Tatsächlich ist Informatik heutzutage aber auch ein essenzieller Bestandteil vieler anderer akademischer Disziplinen. [...] Die Informatik ist keine Nische, sondern das neue Fundament unserer Gesellschaft.

Und dass das so wenige zu verstehen scheinen ist wirklich verwunderlich. Ich höre oft, dass die „digitale Revolution die Menschen überrollt“. Kann sein, aber es hilft auch nicht den Kopf in den Sand zu stecken und schon bei kleinstem Denkanreiz abzuschalten.

Ich muss hier aber fairerweise auch hinzufügen, dass ich mir bewusst bin, dass diese Kritik unfair sein kann.

Unsere Gesellschaft - unsere Bundespolitik - befindet sich in einer Lage, in der der Arbeitsmarkt die Menschen so dermaßen kaputt schleift, dass Resignation und Ignoranz Werkzeuge zur Erhaltung eines gesunden Geistes zu sein scheinen. Der Trotz, mit dem neues Wissen über Software und Digitalisierung abgelehnt wird, scheint mir oft mehr eine schützende Abwehrreaktion denn eine fehlende Neugier zu sein. Und dass dann für die geistigen Sprünge, die abstrakte Probleme verlangen um begreifbar zu werden, keine Kapazitäten mehr übrig sind, will ich niemandem zum Vorwurf machen.

Nur wenn wir es schaffen, dieses Thema für junge Leute aller Geschlechter attraktiv zu machen, wird sich langfristig die Vielfalt an den Universitäten und Fachhochschulen verbessern.

Ganz großes, anderes Problemfeld. Deshalb nur kurz: wenn Statistiken zeigen, dass Frauen weniger Interesse am reinen Informatikstudium haben, sind Quoten und extra Förderprogramme meiner Meinung nach fehl am Platz. Übrigens ist die Quote in der Mathematik und Physik wesentlich ausgeglichener.

Jedoch möchte ich zu diesem Punkt nochmal auf die oben angesprochenen Brücken in andere Disziplinen zurückkommen. Es lohnt sich viel mehr, die Bereiche, in denen Menschen außerhalb der Informatik tätig sind und sich begeistern, mit ins große Boot zu holen. Wenn beispielsweise die Digital Humanities mehr und mehr Software-Unterstützung für ihre Arbeit benötigen und Anforderungen formulieren können, kommt der Austausch über Programm-Features und Oberflächen-Design vollkommen automatisch. Und es muss zur Vermittlung niemand Fachfremdes zum Informatiker ausgebildet werden.

Das langfristige Ziel sollte sein, dass kein Fach mehr Informatik als Nebenfach anbieten muss, sondern all diese Inhalte direkt im jeweiligen Studium verankert sind. D.h. konkret, dass die Menschen, die heute in der Informatik im Randgebiet zu anderen Bereichen aktiv sind, irgendwann zu diesen Fachbereichen übersiedeln, die Informatik ihren Kern ausdefiniert und in diesem weiter forscht.

Man sollte dabei auch nicht unterschätzen, dass die Informatik noch eine sehr junge Wissenschaft ist. Begriffe wie „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ sind wie alt? 10-15 Jahre vielleicht? Wenn nicht sogar weniger.

Es ist 2017. Das erste iPhone kam 2007 auf den Markt - vor gerade einmal 10 Jahren! Das, was Menschen heute mit der Informatik verbinden, hat sich erst seit 2000 explosionsartig breit gemacht, und die Technik hat die letzten Jahre einen immensen Boom erlebt, der auf Fachfremde sehr überwältigend zu wirken scheint. Wenn man aber mal in die Fachgebiete hineinschaut erkennt man, dass auch bei Google nur mit heißem Wasser programmiert wird.

Ein wichtiger Punkt besteht jedoch: das Rennen um die Führung der Digitalisierung ist eine Zeitfrage. Wer in der wachsenden Informationsgesellschaft Informationen hat und Kanäle steuert, besitzt das Zepter zur Gestaltung der Gesellschaft. Konkret: je länger Menschen ihre Köpfe im Sand verstecken, desto schlimmer werden die Konsequenzen für alle.

Am Ende also ein persönlicher Appell an alle Menschen, die zweifeln und die sich unsicher sind, ob sie in diesem Fach glücklich werden können: Tut es! Studiert Informatik! Wir brauchen euch.

Ja, wir brauchen ein diverseres Umfeld in der Informatik. Wir nehmen auch gerne Menschen auf, die sich probieren wollen und erst nach drei Semestern merken, dass es für sie nichts ist. Und wir brauchen ganz besonders Menschen, die aus anderen Bereichen und nicht unbedingt direkt aus der Schule kommen. Am besten noch angetrieben durch Neugier oder Frust über die aktuellen Zustände - bessere innere Motoren für Gestaltungswillen wird man wohl selten finden.

Was wir aber definitiv nicht brauchen, sind Menschen, die denken, ein Informatikstudium würde sie zu Programmierern ausbilden, so dass sie mit ihrer App-Idee Millionen verdienen und sich früh zur Ruhe setzen können. Diese sind an einer Fachhochschule, im eigenen Startup oder gerne auch in einer Ausbildung besser aufgehoben.

Das klingt extrem harsch, bezieht sich aber auf meinen Punkt oben - so lange gesellschaftliche Ströme nach dem Prinzip des „Fakten schaffen“ durchgedrückt werden, wird sich im großen Ganzen kein nachhaltiges Konzept entwickeln können. Dafür ist das Gebiet noch zu schnelllebig.

Vieles in der Informatik, besonders im Bereich der Software, ist schlicht kaputt und in instabilem Zustand, weil sich Entwickler nicht genug Zeit nehmen ihre Konzepte ordentlich auszuarbeiten, zu prüfen und auch in einen nachträglichen Umbau zu investieren. Oder Arbeitgeber nicht einsehen, dafür Budget einzuplanen. Wir verpassen eine Menge innovative Chancen, weil zu viele vom Silicon Valleyschen „move fast and break things“ verführt werden.

Hier bedarf es ein Umdenken und vor allem den Willen, mal eine Pause einzulegen, zurückzublicken und Dinge gemeinsam bewusster zu gestalten. Die digitale Revolution wird uns wie jede andere Revolution sehr entscheidend prägen - wir sollten die uns zur Verfügung stehenden Kompetenzen nutzen, um nachhaltige Produkte, langfristige Planung und ausgeglichende Konzepte als Grundprinzipien der Digitalisierung zu verankern.


Vielen Dank für deinen Beitrag. Ich hoffe meine Bezüge auf deinen Text sind nicht zu hart, es ist nun mal ein schwieriges und aufgeladenes Thema. Teilweise musste ich Stellen kürzen, weil ein Argument noch viele weitere Probleme angesprochen hätte. Es wäre schön, wenn zu diesem Thema langsam mal mehr Diskurs entstehen würde und auch die Wirtschaft als offener Diskussionsteilnehmer mit im Boot wäre.

Grüße und schöne Weihnachten,
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